Stickstoffgenerator statt Gas aus der Flasche

06.08.2020 09:38
Kunststoffe - Physikalisches Schäumen macht Kunststoffteile leichter und stabiler
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Artikel Kunststoffe 8/2020


 

Physikalisches Schäumen macht Kunststoffteile leichter und stabiler

Der Automobilzulieferer Pollmann wendet zur Herstellung von elektromechanischen Komponenten, die in Kraftfahrzeugen verbaut werden, u.a. ein Spritzgießverfahren zum physikalischen Schäumen glasfaserverstärkter Thermoplaste an. Die Verwendung von Stickstoff als Treibmittel macht den Prozess effizienter und verleiht den Bauteilen besondere Eigenschaften. Der Stickstoff wird im Pollmann-Werk von einem Generator der Firma Inmatec zu jeder Zeit in der benötigten Menge bereitgestellt.

 

Als weltweit agierender Zulieferer verbindet die Pollmann International GmbH mit Hauptsitz in Karlstein/Österreich Metall, Kunststoff und Elektronik zu komplexen Mechatronik-Bauteilen für die Automobilindustrie. Als ausgewiesener Experte im Bereich des Spritzgießens ist das Familienunternehmen Vorreiter bei der Herstellung von Gehäusen für Türschlosssysteme, die sich u.a. in Fahrzeugen von BMW und Mercedes wiederfinden. In der Produktion nutzt Pollmann dabei auch das sogenannte MuCell-Verfahren (Anbieter: Trexel GmbH): Auf drei Spritzgießmaschinen mit jeweils 5000 kN Schließkraft (Hersteller: Arburg GmbH + Co KG, Loßburg) wird ein PBT (Polybutylenterephthalat) mit 20 % Glasfaseranteil zu Unterschalen von Türschlossgehäusen verarbeitet.

Das Charakteristikum des MuCell-Verfahrens ist, dass während des Plastifiziervorgangs Stickstoff in die Schmelze injiziert wird. Eine spezielle Mischzone der Schnecke sorgt dafür, dass das Treibmittel homogen in die Schmelze diffundiert. Die dabei entstehende Stickstoff-Polymer-Mischung wird als „überkritisch“ bezeichnet, weil der gelöste Stickstoff (SCF, Supercritical Fluid) bei einem Druckabfall schlagartig aus der Schmelze entweichen würde.
Beim Einspritzvorgang bewegt sich die Schnecke nach dem Öffnen der Düse axial nach vorne und spritzt mit einem Druck von etwa 1500 bar die mit Stickstoff beladene Schmelze in die vier Kavitäten des Spritzgießwerkzeugs. So können in einem Vorgang die Türschlossgehäuse eines ganzen Autos gespritzt werden (rechts und links, jeweils vorne und hinten).

4000 Teile pro Schicht
Durch den beim Einspritzen entstehenden Druckabfall beginnt das SCF-Kunststoff-Gemisch aufzuschäumen. An den Glasfaserstäbchen bilden sich winzige Gasbläschen, die nun so lange anwachsen, bis das Material erstarrt ist. Schließlich nimmt ein Roboter die fertigen Spritzgussteile aus der Form und der Prozess beginnt von neuem. Auf jeder der drei Produktionslinien werden 4000 Teile pro Schicht gefertigt. So entstehen im Dreischichtbetrieb pro Tag bis zu 36.000 Türschlossgehäuse für insgesamt 9000 Fahrzeuge.

Dieses spezielle Spritzgießverfahren bringt viele Vorteile im Vergleich zum herkömmlichen Kompakt-Spritzgießen mit sich. Durch die Zugabe von Stickstoff als Treibmittel verringert sich die Viskosität des aufgeschmolzenen Kunststoffs – die Schmelze zeigt somit ein verbessertes Fließverhalten. Auf diese Weise können Formteile mit Wanddicken von weniger als 1 mm hergestellt werden. Zudem sind die Bauteile bis zu 10 % leichter und dennoch formstabiler. Die üblichen Einfallstellen an der Formteiloberfläche treten nicht auf. Darüber hinaus können die Zykluszeiten bei der Produktion deutlich verkürzt und so der Ausstoß dementsprechend erhöht werden.

Generator plus Verdichtersystem und Pufferspeicher
Der Stickstoff für das MuCell-Verfahren wird bei Pollmann mit einem Stickstoffgenerator (Typ: PN 1450 OnTouch; Hersteller: Inmatec GaseTechnologie GmbH & Co.KG, Herrsching) direkt vor Ort erzeugt. Der Generator, der sich auf einer Plattform mit einem Verdichtersystem und einem Pufferspeicher befindet, verfügt über die Druckwechseltechnik (PSA). Hierbei durchströmt sterile Druckluft zwei mit einem Kohlenstoff-Molekularsieb gefüllte Adsorptionsbehälter.
Sauerstoff- sowie Kohlendioxidmoleküle aus der Umgebungsluft werden im Sieb gebunden, während die freien Stickstoffmoleküle in den Verdichter strömen. Dieser verdichtet das Gas, das schließlich in einen Pufferspeicher fließt, auf 25 bar. Die hier gespeicherte Menge reicht aus, um auch bei einem Stillstand des Generators, zum Beispiel für Wartungszwecke, zwei Produktionsschichten abdecken zu können. Der trockene Stickstoff, von dem mit der Anlage bis zu 4,8 m³ pro Stunde gewonnen werden, verfügt über eine Reinheit von 99,99 % und kann nun für die Anwendung in den Spritzgießmaschinen entnommen werden.

Amortisationszeit etwa zwei Jahre
Früher wurde der Stickstoff bei Pollmann über ein Flaschenbündel mit zwölf Flaschen bereitgestellt. Dies erforderte jedoch eine ständige Betreuung zur Überwachung der Füllstände und gegebenenfalls eine Nachbestellung; die neu gelieferten Flaschen mussten wiederum installiert und angeschlossen werden. Dies sollte 2019 mit der Eröffnung des neuen Werks in Vitis/Österreich anders werden. Die Produktionsstätte sollte im Sinne von Industrie 4.0 auf dem neuesten Stand der Technik mit effizienter innerer Logistik, hoher Energieeffizienz und weitgehender Automatisierung starten. Und so suchte das Unternehmen bereits im frühen Planungsstadium nach einer alternativen Lösung für die Stickstoffversorgung.

Gerald Hauer, Leiter Kunststoffverarbeitung bei Pollmann im Produktionswerk Vitis:
„Wir haben uns aktiv auf die Suche nach Lösungen für die Eigenerzeugung von Stickstoff gemacht, um die Prozesse im neuen Werk zu optimieren. Inmatec konnte mit seinem Preis-Leistungsverhältnis überzeugen – wir rechnen mit einer Amortisationszeit von zwei bis zweieinhalb Jahren. Der Wechsel von Bündeln auf Eigenerzeugung hat sich gelohnt. Die Inmatec-Technologie ist sehr zuverlässig und ausfallsicher. Darüber hinaus freuen wir uns, die Umwelt und den Verkehr auf diese Weise zu entlasten.“

 

Veröffentlicht in der Printausgabe von "Kunststoffe 8/2020"
www.kunststoffe.de

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